Ermutigungswort aus der und für die Propstei Königslutter zum Sonntag „Kantate“ am 2. Mai 2021 von Pastor Michael Gerloff

Herr, unser Gott,
wir singen und musizieren - für dich!

Auch wenn wir es derzeit nicht gemeinsam tun können,
so doch alle, die wollen und mögen, zumindest still in sich drin,
oder laut für sich allein daheim,
oder mit wenigen andern und genügend weitem Abstand.

Es ist deine Liebe zum Leben
und die Aussicht auf deinen Frieden,
die uns zum Singen und zum Klingen bringt,
und die wir redend und singend und musizierend weitererzählen.

Öffne du selbst immer wieder neu
unsere Herzen, unsere Münder und unsere Hände,
damit dein Lob nicht verstummt in dieser Welt,
und dein Friede zur Erde kommt.

So bitten wir in Jesu Namen. Amen.

Liebe Leserinnen und Leser!
Kantate - Singt! Wie gerne würden das viele von uns endlich wieder tun - und zwar gemeinsam! Allein in der Badewanne ist wohl auch ganz nett, aber meist weniger schön, weniger tröstlich, und weniger ermutigend! Nicht mal im Stadion darf man derzeit singen. (Ob man che auch deshalb mehr schimpfen oder prügeln? - Wer weiß?)

„Mach End, o Herr, mach Ende, mit aller unserer Not“, singt Paul Gerhardt in der letzten Strophe von „Befiehl du deine Wege“ (EG 361). Wie gern würde ich dieser Tage kräftig darin einstimmen …

Wenn’s geht, singen Sonntag für Sonntag landauf, landab Tausen-de von Gottesdienstbesuchern in unseren Kirchen. Es singen Chö-re, es musizieren Organisten und ganze Orchester, es spielen Blä-serinnen und Bläser mit Flöten, Trompeten und Posaunen, mit Har-fen und Pauken. Auch wer nicht mitsingt, kann sich dennoch von der Musik anrühren und bewegen lassen. - „Bis orat, qui cantat!“
So sagt es ein weises altes Wort: „Wer singt, betet doppelt!“

„Wenn sie schweigen sollten, werden die Steine schreien.“

Mit diesem Satz weist Jesus im Lukasevangelium diejenigen zu-recht, die seinen Jüngern bei seinem Einzug in Jerusalem ihr hoff-nungsvoll-freudiges Singen verbieten möchten.

Manchmal, wenn ich ganz still allein in meiner Kirche sitze und die Ruhe genieße, ist mir so, als fingen die Steine in den Wänden, das Glas in den Fenstern oder das Holz in den Balken gleichsam zu reden an - so als ob alle Gebete und Gesänge aus Vergangenheit und Gegenwart in ihnen gespeichert wären. Sie künden dann von all dem Leid und all der Freude, von allem Glauben und allen Zwei-feln, die Menschen hier vor Gott gebracht haben und immer noch bringen - ganz gleich, ob singend oder betend oder schweigend!

Aber nicht nur in unseren Kirchen gibt es redende, singende oder auch schreiende Steine. Jede trennende Mauer - egal ob die schon entsorgte in Berlin oder die noch unvollständige zwischen USA und Mexiko - speichert die Schreie der von ihren Eltern getrennten Kin-der. Die messingfarbenen Stolpersteine auf den Gehwegen unserer Städte künden beredt vom Unrecht, das denen angetan wurde, de-ren Namen sie tragen. Und wer durch die Steine des Holocaust-Mahnmals geht, kann sich ihrer „Sprache“ kaum verschließen.

Besser allerdings als auf das Reden oder das Schreien der Steine zu warten, wäre es gewiss, wenn wir uns heute ebenso wenig zum Schweigen bringen lassen wie die Freunde von Jesus damals. Wir können nämlich auch gegenwärtig - und sogar völlig coronakonform - unsere Stimmen erheben, wenn auch gerade nicht singend, aber dennoch laut und deutlich.

Dietrich Bonhoeffer fand seiner Zeit, nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen! Ach, hätten damals doch mehr Menschen auf ihn gehört - gerade in den Kirchen! Er wollte damit selbstredend nicht das Singen problematisieren, sondern den feh-lenden Aufschrei der Christenheit für die Verfolgten.

Was die Jünger Jesu seinerzeit sangen, erinnert an Psalm 118 und an Weihnachten: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König! Friede im Himmel und Ehre in der Höhe!So prokla-mierten sie ihren Meister als den verheißenen Messias und sein an-brechendes Friedensreich. Bei Gott im Himmel ist der Gottesfriede bereits Wirklichkeit. Er soll aber auch auf die Erde kommen. Mit Jesus fängt das endgültig an - für alle Welt, sagt Lukas.

Davon künden seither alle unsere Lieder, alle unsere Gebete, alle unsere Predigten, - ja und auch all unser nötiger Protest gegen of-fenkundiges Unrecht. All das dürfen und können Freundinnen und Freunde, Schwestern und Brüder von Jesus niemals verschweigen, auch wenn’s manchen anderen nicht in ihren politischen oder religi-ösen Kram passt - besonders denen nicht, die auch die Sprache der Steine nicht hören und verstehen wollen und die sogar deren Schreie noch am liebsten verstummen lassen würden.

Es wird nie nur Fröhliches aus unseren Herzen rinnen. Trauer und Klage müssen auch sein. Es kann uns auch mal ganz die Sprache verschlagen über Elend, Trauer und Not von Menschen, über Hass und Gewalt. Jesus weint über seine Stadt und seine Menschen, die ihn schließlich zum Schweigen bringen, weil sie nicht sehen, wie er auch ihr Leben gut machen und ans Ziel bringen will und wird.

Uns aber kann diese Zuversicht schon heute zuerst neu das Herz öffnen und dann auch Mund und Hände. Und damit nicht die Steine in Zukunft wieder schreien müssen, dürfen wir heute nicht schwei-gen - und bald auch wieder singen - und zwar gemeinsam! Amen.